6. Oktober 2011
3. Oktober 2011
1. Oktober 2011
Nun ist aber hübsch
- Sie stellen hier einen Antrag auf Versorgung und Ausgleichzahlung und begründen das damit, dass Sie nach Ihrem 20monatigen Auslandseinsatz verwundet wurden, behaupten Sie leiden an einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Nun, wir sind doch aber unserer Fürsorgepflicht nachgekommen. Ihre Gesundheit ist wieder hergestellt und Ihr Einsatz liegt nun schon acht Wochen zurück.
- Sicher schon, aber...
- Haben Sie sich mal überlegt, dass auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen könnten. Vielleicht haben Sie in ihrer Kindheit etwas erlebt, das bei Ihrem jetzigen Einsatz wieder aktiviert wurde. Man spricht da auch von einer Retraumatisierung. Wissen Sie, wir hier von der Behörde sind ja während unserer Ausbildung auch in psychologischen Fragen geschult worden. Sie sehen so blass aus. Kann ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten?
- Äh, ja danke. Wissen Sie, ich wollte auch nur, ich meine die Monate im Schützengraben, das stundenlange Bombardement …
- Nun werden Sie mal nicht frech junger Mann. Es sind schließlich nicht alle auf Rosen gebettet, alle haben mal eine schlechte Phase im Leben und wir geben uns hier alle Mühe mit Ihnen.
- Vielleicht haben Sie Recht. Da fällt mir übrigens doch was ein. Mein älterer Bruder hat mir mal – da war ich vier Jahre alt – eine geknallt, weil ich ihm seine Playmobilburg kaputt gemacht habe und mich anschließend in die Abstellkammer eingesperrt bis meine Mutter nach Hause kam und mich rausholte.
- Na sehen Sie, das sind Traumatisierungen, die in krisenhaften Situationen durchaus wieder lebendig werden. Und glauben Sie mir, auch mit einem Arm kommt man gut durch das Leben. Natürlich können wir Ihrem Antrag nicht entsprechen. Sie verstehen das sicherlich?
- Äh, natürlich...
- Wir benötigen allerdings für unseren Ablehnungsbescheid noch ein Attest über Ihre Retraumatisierung. Ich kann Ihnen gerne einen niedergelassenen Psychiater empfehlen. Sie schwitzen ja so. Ist Ihnen nicht gut? Soll ich Sie noch den Flur runter zum Ausgang begleiten? Ich weiß ja um Ihre Klaustrophobie seit Sie monatelang im Schützengra..., äh, ich meine weil Sie Ihr Bruder in die Kammer eingeschlossen hat.

8. September 2011
Jonglieren - Der große Wurf für die grauen Zellen
Traditionell kennt jeder das Jonglieren als eine von Artisten vorgeführte Kunst aus dem Zirkus. Dabei werden unterschiedliche Wurfgegenstände, wie Bälle, Keulen oder Ringe in die Luft geworfen und wieder aufgefangen, so dass sich immer mindestens ein Gegenstand in der Luft befindet. Man vermutet, dass sich das Wort "Jongleur" aus den lateinischen Vokabeln "jaculator" für Werfer, "joculator" für Hofnarr und "pilarius" für Ball zusammen setzt. Im Französischen wurde "joglar" für jonglieren daraus. Die Spielart des Jonglierens wurde zu allen Zeiten von den verschiedensten Völkern, wie z.B. den Chinesen, den Azteken und den Indern praktiziert. Im Mittelalter genossen Jongleure keinen guten Ruf, da ihnen die Kirche eine lose Moral, aber auch Hexerei vorwarf.
Seit jüngster Zeit belegen Studien, dass regelmäßiges Jonglieren, die `graue Substanz` im Gehirn verdichtet. Jedes Gehirn, gleich welchen Alters ist formbar. Es kann Substanz auf - und abbauen. Die Volksweisheit `was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr` trifft also nicht zu, auch wenn Lernprozesse bei Älteren langsamer ablaufen. Daraus kann man schlussfolgern, dass jeder das ist was er aus seinem Hirn macht. An der Universität Hamburg Eppendorf erlernten 60jährige in einer Studie das Jonglieren. Bestimmte Hirnareale vergrößerten sich dabei, bauten sich aber nach drei Monaten ohne Training wieder ab. Gerade die Kombination von geistigem und körperlichem Training, wie z.B auch beim Tanzen verlangsamt altersbedingte Abbauprozesse enorm. Jonglieren aktiviert die beiden Hirnhälften und das Kleinhirn, fördert die Reflexe und motorischen Abläufe, trainiert das Gleichgewichtsgefühl und Reaktionsvermögen und die Konzentration. Durch die gleichmäßige Beanspruchung der Muskulatur und des Bewegungsapparates wird die Beweglichkeit und Ausdauer erhöht. Jonglieren schult die Koordination und Wahrnehmung. Eine gute Körperhaltung gibt es gratis.
Als Einstieg wird das Jonglieren mit verschiedenfarbigen Tüchern empfohlen, da man damit schneller Erfolge erzielt. Es ist gerade für Senioren bestens geeignet. Zwar werden die Tücher in Gegensatz zu Bällen von oben gefangen und geworfen, aber das langsame Flugverhalten ermöglicht dem Anfänger durch mehr Zeit ein besseres Verstehen der Bewegungsabläufe. Die größere Fangfläche erleichtert das Erlernen. Die Tücher werden mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger gegriffen und mit dem ganzen Arm nach oben geführt, Mit einer schnellen Streckung des Handgelenks wird das Tuch in die Luft geworfen. Mit der rechten Hand führt man das Tuch nach links oben, mit der linken Hand nach rechts oben, jeweils unter dem schon in der Luft befindlichen Tuch.
Langfristig sorgt Jonglieren für ein gutes Körpergefühl. Es entspannt, da man eine Zeit lang vom Alltag abschaltet und innere Ruhe findet. So gilt Jonglieren als Form der Meditation. Diese Form der gesundheitsfördernden Bewegung macht aber in erster Linie Spaß. Das heißt aber nicht, dass jeder jonglieren lernen muss. Es viele Möglichkeiten das Gehirn auf Trab zu bringen. Dazu gehören Beschäftigungen wie Kreuzworträtsel lösen oder Spazieren gehen. Es geht nur darum, irgendetwas Neues zu lernen. Das kann eine Fremdsprache, Klavier spielen oder Zeichnen sein. Die Hauptsache ist, es macht Spaß und fordert heraus. Unser Gehirn braucht Beschäftigung und das klappt am Besten, wenn man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt.
Manuela von Paledzki
21. August 2011
Lebensgeschichte
Selbstverständlich bedeutete die Schlacht um Stalingrad, das lang herbeigesehnte Ende des 3. Reiches und des Faschismus, obwohl auf beiden Seiten genug fielen. Die arme Erzählerin brauchte sicherlich einen persönlichen, kleinen Trost, ob des Verlustes ihres Gatten, oder drückte damit nur sein Fallen aus.
12. August 2011
27. Juli 2011
Essay der Ees
Erst war er Enuretiker.
Später galt er als Enfant terrible und echauffierte seine etablierte Familie en suite, dabei fand er sich nur en vogue, wie ein entideologisierender Eleve. Dem Establishment anzugehören war ihm zu etepetete. Es engte ihn ein, trotzdem erlag er dem monatlichen Etat seiner Eltern. Seiner Einschätzung nach glich seine Edukation eher einer Euthanasie.
Euphorierend fand er seine erste Eva, die er in einem Ensemble von Bühnenkünstlern kennenlernte. Sie gehörte nicht zur Elite, sprühte aber vor Erotik, war wie ein Elixier. En famille fand man sie zu exhibitionistisch, was wieder mal echauffierte. Es kam zum Eklat. Erst war es ihm egal. Sie war so evident, hatte so viel Esprit, stillte seinen Eros. Es blieb eine Episode, dabei hatte er von einem epochalen Epos geträumt.
Wenn er sich da an seine spätere Ehefrau erinnert, erfriert er emotional. Seine Ehe hatte eine kleine Ewigkeit gedauert und von einem Event war sie weit entfernt. Sie war ein Exot im negativen Sinne, exaltiert, leistete sich etliche Eskapaden. Sie hatten sich in der Englischvorlesung kennengelernt; später erst erkannten sie sich. Nach bestandenem Examen und der Exmatrikulation fand die Eheschließung statt. Seine etablierte Familie war erfreut über seine Wahl. Der erotische Part ihrer Ehe glich Exequien. Nachdem ihre Enfants; er verglich sie immer mit Epizoonen, erwachsen und sie keine Erziehungsberechtigten mehr waren, begann sich seine Ehefrau für Esoterik zu interessieren. Er hingegegen erwartete ein warmes Essen. Später explizierte sie ihm die Emanzipation en dètail. Irgendwann emanzipierte er sich auch und der Exitus ihrer Ehe war exemt.
Heute ist Eddi ex professo. Er trinkt Eau de Vie en masse. Den Espresso bestellte er nur beim ersten Glas mit. Er sitzt in einer Ecke eines kleinen Elite-Etablissements, eingelullt von Evergreens. Eddi, eigentlich heißt er Edwin, trägt eine Emballage aus erdbraunem Cord, dazu ein elfenbeinfarbenes Hemd, das effektvoll von einer Fliege geziert wird. Das Eau de Cologne ist exorbitant. Von Eleganz kann keine Rede sein. Enzyme hatten die Haare seiner Epidermis auf seinem Kopf wie eine Epidemie ellipsoid eleminiert. Er gehört schon ewig nicht mehr zur Elite der Kopfhaarträger, dafür trägt er eine Enzyklopädie unter der Platte. Seine Erscheinung gleicht dem Exposè jener Exemplare an denen das Leben ein Exempel statuiert hatte. Er erhebt seine Hand, bestellt noch einen Eau de Vie: „Ergo bibamus“, prostet er dem Kellner zu. Eine kleine Eruption ergießt sich durch seine Eingeweide. Brandy ist wie Energetik eruiert er. Er war ein Anhänger der Energetik, obwohl ihm der Elan schon lange abgängig war und ihn dafür Exeme plagten.
Energisch, dennoch elastisch schwankend erhebt er sich und leitet den Epilog ein. Etwas Speichel effluiert seinem Mund. En route erbricht er en gros. Errare humanum est erinnert sich Eddi als er versucht, den Entree neben seinem zu entern. Endlich erreicht er sein Eldorado, eine 11x11 m² große Eigentumswohnung in der ersten Etage. Enorm ermüdet vom Eau de Vie sorgt er noch endotherm vor und deckt sich zu, um dort in Embryonalstellung einzuschlafen.
26. Juli 2011
19. Juli 2011
Die Eskimorolle
Unsicherheit und Coolness wechseln mit Konzentration und abgelenkt sein. Das Lächeln auf dem Gesicht versucht die Waage zu halten. Eine Ente schwimmt unbekümmert dicht an den paddelnden und lärmenden Semierwachsenen unterschiedlichen Alters vorbei, das Geschehen beäugend, ohne den Schnabel zu schütteln. Das flache, dunkle Wasser des Sees glitzert im Sonnenlicht. Unter dem weißblauen Himmel hängen Cumuluswolken, Reste des vorherigen Regentages. Der leichte Wind weht ab und zu die sommerlichen Temperaturen bei Seite.
Der Junge holt nach Anweisung der Lehrerin, die halb versenkt im Wasser steht, den Schwung aus der Hüfte und schaukelt das Kajak hin und her. Die folgende Aufforderung, sich doch mal probeweise samt Kajak auf die rechte Seite zu drehen, findet er noch lustig. Sie erklärt ihm dann, dass der Kopf bei einer Eskimorolle ganz zum Schluss wieder auftaucht. Das Lächeln verebbt, gefolgt von einem unsicheren, nach Zuspruch suchenden Blick in die Runde. Der kommt nicht und die inzwischen leicht frierende Lehrerin hat wieder seine Aufmerksamkeit. Sie hat drei Finger ihrer rechten Hand senkrecht auf ihre linke, flache Hand gelegt, um ihm zu erklären was er ab dem Mittelpunkt unter Wasser machen soll. Jetzt strukturiert der göffnete Mund das Gesicht des Jungen, während er sich fragt ob er je Kajak fahren wollte, von der Eskimorolle ganz zu schweigen. Erkennend, dass man nicht einfach aussteigen kann und Eskimorolle Eskimorolle sein lässt, wird das wissende Misslingen unausweichlich. Auch der Motivationsschub der Lehrerin mit Gänsehaut sorgt nicht für den nötigen Schwung aus der Hüfte und so gleitet er seitlich ins abgründige Nass. Die senkrechte Position unter Wasser, die ihm schon bei Erklärung das Gesicht geglättet hatte, scheint für eine kleine Ewigkeit sein zu Hause zu werden, bis sein Kopf umrahmt von nassen, braunen Haaren, an dem dicht unter der Wasseroberfläche ein seitlich gebogener Körper hängt, auf der anderen Seite des Kajaks zum Vorschein kommt. Er prustet. Kraftlos verschwindet das sichtbar gewordene wieder im See. Der mit T-Shirt und kuzer Hose bekleideten Gänsehaut mit Haarknoten gelingt es erst beim 3. Anlauf, das Kajak mit dem nach Luft japsenden Inhalt nach oben zu drehen. Die Aktion hat dem Jungen jede Mimik weggewaschen. Er orientiert sich und bemerkt die vermehrten Zuschauer am Steg. Um sich nichts anmerken zu lassen, lässt er seine Mundwinkel Richtung Ohren wandern.
Die 2. Rolle beginnend auf der anderen Seite ermöglicht ihm den von Anfang an gewollten Ausstieg. Erst flüchtet er schwimmend, schließlich erklimmt er, das rettende Haus, das ihn verschwinden lässt im Visier, den Steg. Die Gänsehaut erinnert ihn an sein Kajak, das er achtlos zurück gelassen hat und hindert ihn vorübergehend daran, das eben Erlebte unter nie erlebt abzuheften. Eine halbe Stunde später ist er angezogen, die Haare sind getrocknet, die Hände beulen lässig die Hose aus. Eskimorolle? Joa – cool!

18. Juli 2011
Du machst bubu - was mach` ich?
Schlappe 30 Sekunden ruht Minimann friedlich auf dem Kopfkissen, um dann kurz entschlossen den Kampf mit dem Mittagsschlaf aufzunehmen. Zärtlich bohren sich seine Finger in mein Zahnfleisch; schließlich puhlt er an meiner Zahnlücke. Ich ziehe ihm den Zahn, mir einen zu ziehen, schiebe seine Hand beiseite und stelle mich weiter schlafend. Er lässt sich nicht irritieren und legt seine rechte Hand auf meine Wange. Die Streichelattacke abwärts endet damit, dass er mir das untere Augenlid runterzieht. Er entdeckt meine Pupille. Erfreut lächelt er über mein Stückchen Wachheit. Wieder schiebe ich seine Hand beiseite.
Frustriert über die Erfolglosigkeit macht er eine halbe Drehung und malträtiert seine Spielzeuguhr, die kleine, bunte Fellkuh mit ein paar lockeren Schlägen. Schließlich kniet sich der grüne Schlafsack hin und überblickt das Bett. Er scheint nichts Neues zu entdecken. Von plötzlicher Anlehnungsbedürftigkeit übermannt plumpst er diagonal zur Seite und sein Köpfchen kommt auf meiner Unterlippe zum Liegen. Während er den Vorfall mit ein paar glücklichen Kreischern begleitet, fährt meine Zunge schnell über die schmerzende Lippe.
Es folgt eine viertel Drehung auf den Bauch, die kleinen Beinchen angezogen, den Po in die Höhe, sein Gesicht wendet sich meinem schlafenden zu. Dann schiebt er seine Stirn an meine. Ich blinzle ein wenig. Sein Blick fixiert mich. Ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen. Ein Strahlen ergießt sich ob seines Erfolgs über sein Gesicht. Der Mittagsschlaf scheint beendet, denn prompt fühlt sich die 80cm geballte Männlichkeit im Speckmantel aufgefordert in Aktion zu treten. Gezielt schiebt sich seine Hand zwischen meine Taille und Arm. Der Schlafsack zieht sich hoch und kommt zum Stehen. Ein paar wippende Bewegungen und freudige Laute folgen. Durch einen seitlichen 90° Fall liegt er mir zu Füßen. Mit filigraner Grobheit befummelt er jetzt meine Schuhe und Zehen. Ich ziehe meine Füße nach hinten.
Er krabbelt wieder nach oben, ergreift sein Nuckeltuch und drückt es sich auf sein linkes, müder werdendes Auge. Mit der anderen Hand tastet er suchend nach seiner Spielzeuguhr. Der Saugreflex bearbeitet auf `s Intensivste seinen Schnuller. Schließlich kommt er in Ost-West-Richtung parallel zum Kopfkissen zum Erliegen. Seine Beinchen drücken sich in meinen Bauch bis sich mein Magen an der Wirbelsäule wiederfindet. Ein tiefer, entspannter Atemzug folgt, dann hat der Mittagsschlaf gesiegt.

Tischgespräche im Wintergarten
Die Dicke, die ihre Kinder im Liegen vom Sofa aus groß gezogen hatte, war schon fertig mit dem Essen. Mundraub beim Tischnachbarn war ausgeschlossen, da sich eine Pflegekraft der Tischrunde angeschlossen hatte. Der alte Musiklehrer, einziger Mann am Tisch, zu dement, um das Klo als solches zu identifizieren, aber verbal intelligent und witzig, hatte seine Hände aneinander gelegt und fuhr sich die Nase damit auf und ab, den Blick schwer nachdenklich schräg nach oben gerichtet als sich ein durchdringender, dem Wahn verfallender Schrei aus der hinteren Ecke des Wintergartens über die Vierergruppe ergoss und die idyllische Atmosphäre jäh beendete.
„Die Weiber sind alle böse“, musste der Lehrer sich einer Frau anvertrauen. Die von ihm angesprochene, zu seiner linken sitzende, mit Empörung aufblickende, kleine Alte im Rollstuhl, die eben noch friedfertig mit der Gabel die Karotten auf dem Teller angeordnet hatte, fuhr mit dem Kopf zur Seite. Selbige, sonst eher von humorvollem Gemüt, konnte man zum Explodieren bringen, wenn gewisse Dezibel überschritten waren. Eine Flut fäkalen Vokabulars und diverse Drohungen ergossen sich dann über den Urheber der Geräusche, und sie äußerte sich auch diesmal nicht spröde, „ich könnte sie erwürgen, die alte Ziege!“ Die Hagere im Rollstuhl in der Ecke, die man liebevoll, ihren Willen ignorierend, seit Jahr und Tag per Sonde ernährte und der man so noch ein paar schöne Jahre im Wintergarten der Dementenstation aufzwang, blickte sich mit leicht irrem Blick suchend um, dann entfuhr ihrer geschundenen Seele ein neuer, schriller Schrei.
Der Groschen fiel. „Man sollte sie notschlachten, einfach notschlachten“, hatte der alte Musiklehrer nun die Lösung parat. „Also, es ist u n v e r s c h ä m t.“, bemerkte die kleine Geräuschempfindliche gedehnt, aber der alte Lehrer hatte schon, ob seiner guten Idee ein hämisches Lächeln auf dem Gesicht, dass seine fehlenden und abgebrochenen Zähne entblößte. Die Dicke und die kleine Alte im Rollstuhl verfielen in Gelächter. Selbst die renitente, stark auf die 100 zugehende Depressive, die ihre Tage mit kurzen Unterbrechungen weinend verbrachte, diese aber zuweilen mit giftigen Attacken auflockerte, konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Sie hatte eskapadenlos aufgegessen, lediglich ein paar übriggebliebene Karotten zierten ihren sonst leer gegessenen Teller. Nun war sie beim Dessert angelangt.
Die Dicke, die ihre pathologische Bequemlichkeit gerne damit erklärte, dass sie als Jugendliche hatte Schienen verlegen müssen, erhob sich breitbeinig, um nach ihrem Rollator zu angeln, der auf wundersame Weise unter ihrem Gewicht noch nicht zusammen gebrochen war. Die kleine Alte im Rollstuhl verfolgte das Bestreben der Dicken interessiert. „Hat diiie einen fetten Arsch“, fasste sie das Gesehene sorglos in Worte. Breites Grinsen, erneutes Gelächter, ausgenommen von der Dicken, der der liebe Gott auch noch Schwerhörigkeit bei Bedarf hatte zukommen lassen. Schlürfend schob sie sich am Tisch vorbei in Richtung Ausgang.
„Fragt der Bischof den Pater“, der alte Lehrer unterbrach sich und sah sich um, ob auch sonst niemand zuhörte: „...also fragt der Bischof den Pater:`Pater, leiden sie auch immer so unter Blähungen?`“ Erneut blickte sich der Witzeerzähler um, ob sich die sechs Augen am Tisch auch nicht vermehrt hatten und wagte sich schließlich flüsternd zur Pointe vor: „... `nein, Herr Bischof, nur unter Ihren`.“ Der alte Musikus lachte zuerst über seinen Witz.
Ein neuer Schrei durchbrach die aufkommende Ruhe und die geräuschempfindliche Alte war entfesselt. „Also wenn ich aufstehen könnte“, polterte sie drauf los, „ würde ich sie erschlagen. Das glaubst Du doch wohl. Das ist nicht zum Aushalten! Und Iiihr habt sie sicherlich zu Eurem Vergnügen hier“, unterstellte sie der am Tisch sitzenden Pflegekraft, sicher endlich die wahren Übeltäter der ganzen Misère überführt zu haben. „Genau, nur zur Belustigung und um Sie zu ärgern“, gibt diese lachend der Unterstellung Nahrung.
Das letzte Lied der CD `Tafelmusik für Demente`, die Tag für Tag zum Mittagessen eingelegt wurde, erklang. „Ach Kinder, glaubt mir, da gibt `s nur eins, notschlachten“, beendete der alte Musiklehrer die mittägliche Konversation und das gemeinsame Essen.

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